Von Maden und Mäusen
Seit Jahren jagt ein Lebensmittelskandal den nächsten. Hinzu kommt: Jedes Jahr wird bei den amtlichen Kontrollen jeder vierte Lebensmittelbetrieb beanstandet. Aber Verbraucher erfahren fast nie, welche Produkte und Anbieter betroffen sind. Der foodwatch-Report legt die Schwachstellen des Informationssystems schonungslos offen.
Nach jedem neuen Lebensmittelskandal versprechen Politiker, die „schwarzen Schafe“ künftig beim Namen zu nennen. Doch fast immer erweist sich dieses Versprechen als Luftnummer. So auch nach dem Dioxin-Skandal vom Jahresanfang 2011. Unter dem Druck der Öffentlichkeit gelobte die Politik eilig Besserung und brachte zwei Gesetzesänderungen auf den Weg: Zum einen wurde das sogenannte Verbraucherinformationsgesetz (VIG) überarbeitet, das die Informations-Ansprüche von Verbrauchern gegenüber Behörden und Ministerien regelt, zum anderen wurde ein entscheidender Paragraf im Lebensmittelrecht geändert, um die Informationspflichten der Behörden zu verbessern.
Im September 2012 traten die Änderungen in Kraft. Das Versprechen: Verbraucher sollten ab sofort schnell und unkompliziert über beanstandete Lebensmittel und Hygieneverstöße informiert werden – nicht nur auf Antrag beim Amt, sondern auch direkt von den Behörden selbst, zum Beispiel über neue Info-Portale im Internet. Alle Grenzwertüberschreitungen und schwerwiegenden Verstöße gegen das Lebensmittelrecht sollten fortan veröffentlicht werden.
foodwatch-Report: Lebensmittelüberwachung versagt
Doch der foodwatch-Report „Von Maden und Mäusen“ analysiert das klägliche Scheitern dieser Transparenzoffensive: Mitnichten werden Verbraucher über die Gesetzesbrecher im Lebensmittelmarkt informiert. Die neuen gesetzlichen Vorgaben sind viel zu ungenau formuliert. In vielen Fällen, in denen Beamte die Verbraucher zum Beispiel über schwere Hygienemängel informieren wollten, haben Restaurantbetreiber gegen die Veröffentlichung geklagt – und vor Gericht Recht bekommen. Nur wenige Behörden hatten daher überhaupt Ergebnisse herausgegeben, mittlerweile haben fast alle Kommunen ihre Veröffentlichungen der Lebensmittelkontrollen wieder gestoppt.
Symbolpolitik anstatt echter Transparenz
In dem knapp 100-seitigen Report hat foodwatch detailliert die Schwachstellen der Lebensmittelüberwachung und der gesetzlichen Regelungen zur Verbraucherinformation analysiert. Schwerpunkte sind zum einen eine Analyse der im vergangenen Jahr in Kraft getretenen Änderungen im Paragraf 40 des Futtermittel- und Lebensmittelrechts (LFGB), sowie zum anderen ein umfassender Praxistest des ebenfalls in 2012 novellierten sogenannten Verbraucherinformationsgesetzes (VIG):
- Die behördlichen Veröffentlichungspflichten im neugefassten Paragraf 40 LFGB sind unbefriedigend, wie die foodwatch-Analyse zeigt. Behörden sollten seither von sich aus Verbraucher immer über Grenzwertüberschreitungen und schwerwiegende Verstöße gegen das Lebensmittelrecht, bei denen ein Bußgeld von mindestens 350 Euro zu erwarten sei, informieren. Doch der Gesetzestext erwies sich in der Praxis als untauglich: Es kam zu zahlreichen Gerichtsverfahren mit unterschiedlichsten Entscheidungen, weil Unternehmen gegen behördliche Veröffentlichungen geklagt hatten. Derzeit ist ein vom Land Niedersachsen initiiertes Normenkontrollverfahren beim Bundesverfassungsgericht anhängig. Aktive behördliche Veröffentlichungen wurden weitestgehend ausgesetzt.
- Das neue Verbraucherinformationsgesetz versprach den Bürgern auf Anfrage schnelle, unkomplizierte und kostengünstige Behördeninformationen über Ergebnisse und Beanstandungen der Lebensmittelkontrolle. Das Ergebnis des foodwatch-Praxistests: VIG-Anfragen sind in der Regel langwierig und kompliziert, drohende hohe Gebühren wirken abschreckend. foodwatch hatte in Bayern, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen 54 Anfragen unter anderem zu Fleischproben oder den Hygienezuständen in Großbäckereien gestellt – in gerade einmal sieben Fällen wurden alle angefragten Informationen vollständig und kostenfrei herausgegeben.
Geheimniskrämerei geht weiter
Der neue foodwatch-Report zeigt: Die Gesetze, die in Deutschland für Transparenz und damit für mehr Lebensmittelsicherheit, Wahlfreiheit und fairen Wettbewerb sorgen sollen, funktionieren nicht. Die Verbraucher sind mal wieder mit Schein- und Symbolpolitik ruhig gestellt worden. An der Geheimniskrämerei der Lebensmittelindustrie und der Behörden hat sich ebenso wenig geändert wie an der Futterpanscherei, den verheerenden Hygienezuständen in vielen deutschen Imbissküchen, den Betrügereien, Schummeleien und der Tatsache, dass Schmuddelbetriebe auf Kosten von ehrlichen Anbietern und Verbrauchern in Schutz genommen werden.
foodwatch fordert: Alle Kontrollergebnisse veröffentlichen!
Längst hat dieses Politikversagen es verdient, selbst als Skandal bezeichnet zu werden. foodwatch fordert deshalb: Die Behörden müssen glasklar verpflichtet werden, ausnahmslos alle Ergebnisse der Lebensmittelüberwachung zu veröffentlichen. Egal ob positiv oder negativ, egal ob Laborergebnisse zu Probenentnahmen oder Hygienekontrollen in Betrieben. Die Ergebnisse der Lebensmittelkontrollen und eine zusammenfassende Bewertung müssen außerdem an der Tür eines jeden Betriebes ausgehängt werden. Dänemark, New York oder Toronto zeigen längst erfolgreich, wie es geht.
Die neue Bundesregierung muss endlich für echte Transparenz sorgen. Denn solange Verbraucher nicht erfahren, wer die Gammelfleisch-Händler, Pferdefleisch-Panscher oder Schmuddel-Wirte sind, fehlt der Anreiz für die Betriebe, sich an die gesetzlichen Vorgaben zu halten – und der nächste Lebensmittelskandal ist nur eine Frage der Zeit.