Nachricht 04.07.2025

Wenn der Tierarzt genug hat: „Am Ende liegen Skelette im Stall"

Canva

Markus Söder und Alois Rainer loben regelmäßig die bayerische Landwirtschaft in höchsten Tönen. Die Realität sieht ganz anders aus: Tierärzt:innen sind mit grauenvollen Zuständen in den Ställen konfrontiert. Unsere Kollegin berichtet vom bayerischen Tierärztetag.

Ein Kommentar von Annemarie Botzki aus der Abteilung Recherche & Kampagnen bei foodwatch. 

Annemarie Botzki - Porträt

Annemarie Botzki, Recherche und Kampagnen

„Alle haben die Nase voll“. Das ist der Satz, der mir vom bayerischen Tierärztetag in Kulmbach besonders im Ohr hängen bleibt. Es ist der 8. Mai, ein sonniger Donnerstag in Oberfranken. Ich sitze mit 150 amtlichen und Amts-Tierärzt:innen in einem Konferenzraum. Normalerweise sind sie in detaillierte, fachliche Diskussionen vertieft. Aber diesmal ist die Stimmung anders. Angespannt. Frustriert. 
 
Eine Rednerin steht am Pult. Sie ist sonst diplomatisch, aber heute wird sie deutlich: „Die Lage verschlechtert sich. Wo ist die Prävention, die wir seit Jahren fordern? Wie kann es so weit kommen, dass Kühe so abgemagert sind?" 
 
Dann tritt Kai Braunmiller ans Mikrofon, Vorsitzender der Landesarbeitsgemeinschaft für Fleischhygiene und Leiter eines Veterinäramtes. Ein Mann, der seit Jahren Schlachthöfe kontrolliert. Er analysiert auch Videoaufnahmen von Tierschützern und sieht dabei Dinge, „die man der Öffentlichkeit gar nicht mehr zeigen kann“. 
 
Mit ruhiger, fast resignierter Stimme sagt er den Satz, der mir seither nicht mehr aus dem Kopf geht: „Am Ende liegen Skelette im Stall.“ 
 
Eisiges Schweigen im Raum. Das sind Veterinär:innen, die täglich mit Tierleid konfrontiert sind. Doch selbst sie haben genug von den massiven Skandalen – und der Tatenlosigkeit der Politik. 

Wollen Sie etwas tun?

Diese Zustände sind nicht länger hinnehmbar. Wir müssen jetzt handeln. Unterstützen Sie foodwatch, damit wir politischen Druck für strengere Gesetze und schärfere Kontrollen aufbauen können – bevor weitere Tiere leiden müssen.

Ich möchte mit einer Spende helfen

Bayerns größter Milchviehof: „Der Betrieb müsste jetzt geschlossen werden" 

Was die Tierärzt:innen beschreiben, ist keine Ausnahme. In Bad Grönenbach, auf Bayerns größtem Milchviehof, dokumentierte die SOKO Tierschutz erneut erschütternde Szenen: Mitarbeiter schlagen Kühen auf den Kopf, ziehen ein halbtotes Kalb an den Ohren, fügen den Tieren ohne jeden Sinn Schmerzen zu. Derselbe Betrieb war bereits 2019 wegen Tierquälerei aufgefallen.

Auf anderen bayrischen Betrieben werden nur noch Skelette im Stall gefunden: 30 tote Rinder wurden im Februar im Oberallgäuer Hof entdeckt. Wenige Wochen später werden 9 weitere tote Kühe in einem anderen Stall gefunden. Die Tiere sind offenbar über einen langen Zeitraum qualvoll verhungert. Es ist nicht das erste Mal, dass solche Fälle bekannt werden – aber sie zeigen erneut: Das System Tierhaltung versagt. 

Kai Braunmiller, der die Videoaufnahmen für die SOKO auswertet, findet im Interview klare Worte: „Der Betrieb müsste jetzt geschlossen werden“. Doch passiert ist wieder – nichts. Stattdessen läuft der Betrieb weiter, als wäre nichts gewesen.

60.000 Hühner täglich: Köpfe abgerissen, Tiere getreten und gewürgt 

Aber es kommt noch schlimmer: Wassertrüdingen, auch in Bayern, in einem der deutschlandweit größten Schlachthöfe für Legehennen. Bis zu 60.000 Hühner werden dort täglich geschlachtet. Mitarbeitende treten und würgen dort lebende Tiere, auf einem Förderband werden den Hennen teilweise die Köpfe abgerissen. 500 Stunden Videomaterial hat die Tierschutzorganisation Aninova den Behörden übergeben. Mittlerweile wurde der Betrieb durchsucht – aber erst, nachdem das Grauen monatelang weitergelaufen war.

Minister Rainer schaut weg 

Was tut die Politik? CSU-Minister Alois Rainer will Betriebe beim Stallumbau unterstützen – bislang ohne klaren Plan, noch ohne klare Finanzierung. Es droht, dass wieder einmal nichts geschieht. Die dringend nötigen Maßnahmen, die Tierärzt:innen seit Jahren fordern, bleiben außen vor: 

  • ein Tiergesundheitsmonitoring, das systematisch Missstände aufdeckt 

  • Videoüberwachung in Schlachthöfen und auffälligen Betrieben 

  • das Ende der Anbindehaltung 

  • ein Bußgeldkatalog für gravierende Verstöße 

Amtstierarzt Kai Braunmiller sagt es deutlich: „Ohne das Recht auf behördliche Videoüberwachung auffälliger Betriebe werden wir da nichts verbessern können.“ In England wurde sie binnen sechs Monaten eingeführt – Deutschland scheitert seit sechs Jahren.

Tierärzte werden ignoriert

Das Zynische: Die Tierärzteschaft liefert seit Jahren Belege, Lösungen, Forderungen. Doch die Politik hört nicht hin. Statt echten Tierschutz gibt es warme Worte – und eine Agrarlobby, die alles beim Alten lässt. 
 
foodwatch nimmt kein Geld vom Staat oder der Lebensmittelwirtschaft. Deshalb können wir das aussprechen, was viele Tierärzt:innen nur hinter vorgehaltener Hand sagen: Dieses System ist kaputt. 
 
Die kommenden vier Jahre sind entscheidend. Entweder verkauft die Union ihre Agrarpolitik weiter als „Tierschutz“ – oder wir sorgen dafür, dass Minister Rainer das Leid nicht länger ignorieren kann. 

Auf schöne Worte folgen keine Taten 

Wer sonntags Reden hält, muss auch montags kontrollieren. Während CSU-Politiker wie Markus Söder und Bundesagrarminister Alois Rainer regelmäßig von „regionalen Qualitätsprodukten“ schwärmen und Fleisch und Milch aus Bayern feiern, sterben in manchen Ställen Tiere einen qualvollen Tod – unbemerkt, unbeaufsichtigt, unkontrolliert. 
 
Die jüngsten Skandale zeigen: In der bayerischen Landwirtschaft läuft nicht alles glänzend, sondern gewaltig etwas schief. Behörden versagen, Kontrollen greifen zu spät – und die Leidtragenden sind Tiere, die oft über Wochen hinweg qualvoll verenden. 
 
Die Tierärzt:innen haben ihre Stimme erhoben. Jetzt sind wir dran. 
 
Herzliche Grüße 

Annemarie Botzki

Wir brauchen Sie!

Auf dem Tierärztetag sagte eine Veterinärin: „Wir müssen handeln." Genau das tun wir – aber das geht nur mit Ihrer Hilfe. Denn gegen die Millionen der Agrarlobby haben wir nur eins: Menschen wie Sie, die nicht wegschauen.

Ja, ich möchte spenden