Newsletter 05.05.2017

Diese Kampagne ist ein Skandal!

Tonnenweise hochwertige Lebensmittel landen in Deutschland Jahr für Jahr auf dem Müll. Eine irrwitzige Verschwendung, die nicht hinnehmbar ist und endlich aufhören muss. Die Bundesregierung will uns Verbraucherinnen und Verbraucher weismachen, dass wir die Hauptschuldigen sind - dazu biegt sie sich eine eigene Studie zurecht, die die Schuldzuweisung in dieser Form gar nicht hergibt. Die Wahrheit ist: Um die gigantische Verschwendung zu stoppen, brauchen wir vor allem auch neue Regeln für Industrie und Handel. Dafür setzt sich foodwatch ein.

Hallo und Guten Tag,

Essen gehört nicht in den Abfall. Jeder und jede von uns ist aufgerufen, die Verschwendung von Lebensmitteln zu vermeiden. Das ist auch das Ziel einer auf den ersten Blick lobenswert erscheinenden Aufklärungskampagne vom Bundesernährungsministerium. „Zu gut für die Tonne“, heißt sie. Zu gut, um wahr zu sein, wäre allerdings der bessere Titel, denn ich sage Ihnen ganz offen: Ich habe selten eine so falsche und perfide Kampagne erlebt wie diese. Am Ende verhindert das Ministerium sogar effektive Maßnahmen gegen Lebensmittelabfälle, statt sie zu fördern!

Mit Reste-Rezepten und Tipps zur Abfallvermeidung wendet sich Ernährungsminister Christian Schmidt an uns. Dagegen ist nichts einzuwenden. Nur: Die ganze Kampagne richtet sich fast ausschließlich an uns Verbraucherinnen und Verbraucher. Uns hat das Ministerium nämlich als Hauptschuldige für die Lebensmittelverschwendung ausgemacht! Lebensmittelabfälle entstehen überall: in der Landwirtschaft, in der Lebensmittelindustrie, in Restaurants, Bäckereien und Kantinen, im Handel. Bei uns in den Privathaushalten sollen aber 61 Prozent (!) aller Lebensmittelabfälle verursacht werden. 82 Kilogramm Lebensmittel im Jahr wirft angeblich jede und jeder von uns in den Müll!

Das klingt dramatisch - nur: Die Zahlen sind einfach falsch! Denn in diese Rechnung hat das Ministerium nicht nur gute Lebensmittel einbezogen, sondern auch zum Beispiel Suppenknochen oder Bananenschalen! Mehr als ein Drittel der „Lebensmittel“, die wir angeblich wegwerfen, sind nach der Studie, auf die sich die Bundesregierung beruft, in Wahrheit solche „unvermeidbaren Abfälle“, weitere 18 Prozent sind nur „teilweise vermeidbar“. Nur weil das Ministerium Knochen und Bananenschalen mitzählt, kann es uns Verbraucherinnen und Verbraucher als Hauptverantwortliche an den Pranger stellen! Lieber Herr Minister Schmidt, wir alle wollen Lebensmittelabfälle vermeiden - aber unsere Bananenschalen wollen wir auch weiterhin nicht mit essen!

Die Strategie ist arglistig: Uns Verbraucherinnen und Verbrauchern wird auf diese Weise ein schlechtes Gewissen gemacht. Wir sind schließlich die Hauptschuldigen! Und vor lauter Selbstanklage sollen wir wohl gar nicht mehr genau hinsehen - geschweige denn von der Politik die wirklich nötigen Schritte einfordern. Denn wenn wir etwas gegen Lebensmittelverschwendung tun wollen, müssen nicht nur wir, sondern auch die Lebensmittelindustrie und der Handel ihren Teil der Verantwortung übernehmen! Damit das Problem gelöst wird, müssen neue Regeln für Handel und Industrie geschaffen werden. Und es muss aufhören, dass uns Verbrauchern einseitig die Schuld in die Schuhe geschoben wird - dagegen wollen wir uns wehren. Bitte helfen Sie uns dabei und werden Sie jetzt Förderer/Förderinhttps://www.foodwatch.org/de/spenden/mitgliederformular-fb/ von foodwatch!

Der „Trick“ mit den Bananenschalen ist bei weitem nicht der einzige, mit dem der Schuld-Anteil der Verbraucherinnen und Verbraucher künstlich groß gerechnet wird. Denn während es genaue Untersuchungen über die Abfallmengen in Privathaushalten gibt, fehlen verlässliche Zahlen darüber, wie viele Lebensmittel Industrie und Handel wegwerfen. Was also tut das Ministerium? Sie glauben es nicht: Es FRAGT die Unternehmen und ihre Lobbyverbände, wie viele Lebensmittel sie denn so wegeschmeißen - und, schwuppdiwupp, (Überraschung!) erscheinen ihre Anteile an den Lebensmittelabfällen ziemlich klein. Und damit nicht genug: Alle Abfälle, die in Landwirtschaft und Tierhaltung anfallen, sollten die vom Ministerium beauftragten Wissenschaftler einfach GAR NICHT berücksichtigen! All das führt zu einem Effekt: Die „Schuld“ von uns Verbraucherinnen und Verbrauchern sieht im Verhältnis zu den Unternehmen noch einmal viel größer aus, als sie es eigentlich ist. Die vom Ministerium beauftragten Wissenschaftler machen die Datenlücken und Probleme transparent, das Ministerium aber behauptet einfach: Wir sind für 61 Prozent der Abfälle verantwortlich. Diese Strategie ist reine Vernebelungstaktik und wird das Problem leider nicht aus der Welt schaffen. Das geht nur, wenn alle Beteiligten ehrliche Zahlen auf den Tisch legen und nicht ausschließlich die Verbraucherinnen und Verbraucher zum Sündenbock gemacht werden. Dafür brauchen sie eine eigene Interessenvertretung und eine Lobby. Werden Sie Teil dieser Lobby, werden Sie Förderin/Förderer von foodwatch!

Wir wollen uns nicht für dumm verkaufen lassen! Wir wollen, dass die Politik ernsthaft die Probleme löst - und nicht einseitig auf uns mit dem Finger zeigt! Genau dafür setzt sich foodwatch ein - bitte unterstützen Sie jetzt unsere Arbeit als Förderer/Förderin von foodwatch!

Bitte verstehen Sie mich nicht falsch: Natürlich fallen auch in den Privathaushalten unnötige Lebensmittelabfälle an. Es ist richtig, darauf hinzuweisen und aufzuklären. Aber Landwirtschaft, Industrie und Handel müssen eben auch Verschwendung vermeiden! Dafür will aber NIEMAND die Verantwortung übernehmen. Denn derselbe Minister, der uns Verbraucherinnen und Verbrauchern per App Reste-Rezepte verkauft, lehnt ein Gesetz zur Vermeidung von Lebensmittelabfällen in der Lebensmittelwirtschaft ab. Seine Begründung: „Der Großteil unserer Lebensmittelabfälle entsteht in den Privathaushalten, da können wir mit einem Gesetz nichts erreichen.“ Das ist nicht nur Tatsachenverdrehung - vor allem löst es nicht das Problem! Die Taktik, uns Verbraucherinnen und Verbraucher für alles verantwortlich zu machen, lenkt nur von der eigenen politischen Verantwortung ab. Wenn Sie dieses Spiel auch satt haben, dann stärken Sie uns den Rücken und werden Sie Förderin/Förderer von foodwatch.

In Wahrheit gäbe es viele Möglichkeiten, wie Christian Schmidt Handel, Industrie oder Bauern dazu bringen könnte, Abfälle zu vermeiden. Sie erinnern sich wahrscheinlich an die Gurkenkrümmungsnorm der EU. Die gibt es offiziell nicht mehr - aber für Äpfel, Paprika, Tomaten und zahlreiche andere Lebensmittel gibt es noch immer „Vermarktungsnormen“. Das heißt konkret: Gute Lebensmittel wandern auf den Müll, weil sie nicht der EU-Norm in Form oder Größe entsprechen! Warum macht Herr Schmidt hierzu nicht mal einen Vorstoß? Er führt auch keine Vorgaben zur Müllreduzierung in den Unternehmen ein oder ein Verbot für Lebensmittelverschwendung im Handel, wie es in anderen EU-Staaten längst existiert. Er überlässt den Herstellern weiterhin die willkürliche Festlegung des Mindesthaltbarkeitsdatums - er tut eigentlich NICHTS VERBINDLICHES, um Abfälle bei Erzeugern und Unternehmen zu vermeiden, aber ALLES, um den Verbraucherinnen und Verbrauchern Schuldgefühle zu machen.

Bitte helfen Sie mit, dass solche Schmuddelkampagnen auf dem Rücken der Menschen ein Ende haben. Nur mit einer starken Verbraucherlobby können wir es schaffen, dass die Lebensmittelwirtschaft zu ihrer Verantwortung gezogen wird - bitte unterstützen sie jetzt unsere Arbeit und werden Sie jetzt Förderer/Förderin von foodwatch!

Vielen Dank und herzliche Grüße,

Ihr Martin Rücker

Geschäftsführer von foodwatch Deutschland

P.S.: Geld ist das eine. Die Anzahl unserer Fördererinnen und Förderer spielt aber auch eine große Rolle, um uns als Organisation Gehör zu verschaffen. Je mehr Unterstützerinnen und Unterstützer wir haben, desto leichter können wir Druck ausüben. Deshalb: Werden Sie bitte Förderin/Förderer, und kämpfen Sie gemeinsam mit uns für Ihr Recht!