Luise Molling von foodwatch antwortet:

Sie sind aus unserer Ernährung nicht mehr wegzudenken: hoch verarbeitete Lebensmittel wie Fertiggerichte, Wurstwaren, Süßigkeiten oder Softdrinks. In der westlichen Welt machen sie etwa 35–60 % der Gesamtenergiezufuhr aus. Und auch in Deutschland stammte bereits Anfang der 2000er-Jahre etwa die Hälfte der Kalorienaufnahme aus solchen Lebensmittel. Kein Wunder: Die Produkte sind meist nicht nur sehr schmackhaft, sie sind auch vergleichsweise günstig, lange haltbar und ihre Zubereitung ist mit wenig oder gar keinem Aufwand verbunden. Für die Lebensmittelindustrie wiederum sind sie aufgrund billiger Inhaltsstoffe und großer Gewinnmargen sehr profitabel, daher werden sie penetrant beworben und sind überall verfügbar.
Krank durch Fertiggerichte?
Gleichzeitig vergeht kaum eine Woche, in der nicht eine neue Studie zu den gesundheitsschädigenden Auswirkungen eines hohen Verzehrs hoch verarbeiteter Lebensmittel erscheint. Erwachsene, die viele solcher Produkte verzehren, haben nachweislich ein höheres Risiko für Übergewicht, Adipositas, Bluthochdruck, Typ-2-Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen.
Sollten wir also besser auf hochverarbeitete Lebensmittel verzichten? Diese Frage ist nicht so einfach zu beantworten. Denn die meisten Studien, die Gesundheitsgefahren aufzeigen, basieren auf epidemiologischen Daten. Das heißt, sie machen zwar Zusammenhänge deutlich, können aber keine Ursachen belegen. So haben auch Faktoren wie Einkommen, Lebensstil und Bildungsgrad einen starken Effekt auf unsere Gesundheit und unser Essverhalten und könnten die Ergebnisse verzerren. Es bleibt also die Frage, warum hochverarbeitete Lebensmittel gesundheitsschädlich sind. Liegt es an der schlechten Nährwertqualität von Fertigprodukten, also dass sie häufig viel Zucker, Salz und Fett enthalten? Sind sie gesundheitsschädlich, weil ihre oft softe Textur und ihr künstlich-aufgepeppter Geschmack uns dazu verleiten, mehr zu essen? Möglicherweise sind es auch die zahlreichen Zusatzstoffe oder Rückstände aus Verpackungen, die im Körper unerwünschte Wirkungen entfalten.
Kritik an der NOVA-Klassifikation
Bislang gibt es auf diese Fragen keine eindeutigen Antworten. Zudem mehren sich kritische Stimmen aus der Wissenschaft, die das Konzept der hoch verarbeiteten Lebensmittel grundsätzlich in Frage stellen. Denn fast allen Studien liegt die sogenannte NOVA-Klassifikation zugrunde. Diese teilt Lebensmittel in vier Stufen ein:
- Stufe 1: Unverarbeitete und minimal verarbeitete Lebensmittel wie Nüsse, rohes Fleisch, Obst, Gemüse oder Tee.
- Stufe 2: Zutaten, die aus unverarbeiteten Lebensmitteln gewonnen werden, wie Mehl, Zucker, Salz oder Öle.
- Stufe 3: Verarbeitete Lebensmittel. Sie bestehen aus unverarbeiteten Lebensmitteln und verarbeiteten Zutaten, wie Brot, Käse oder Dosentomaten.
- Stufe 4: Produkte, die viele Verarbeitungsschritte durchlaufen haben und Zusatzstoffe enthalten, gelten als hochverarbeitete Lebensmittel. Dazu zählen etwa Softdrinks, Süßigkeiten und Fertiggerichte – aber auch Kidneybohnen aus der Dose oder abgepacktes Vollkornbrot.
Hier zeigt sich das Problem bei der NOVA-Klassifikation: Eine niedrigere Stufe bedeutet nicht automatisch, dass etwas gesund ist: siehe Zucker oder Salz in Stufe 2. Die Einstufung ist außerdem sehr grob und packt Produkte in ein und dieselbe Kategorie, die aus ernährungswissenschaftlicher Sicht kaum vergleichbar sind. Bei näherer Analyse der Studien scheint sich ein gesundheitsschädlicher Effekt hochverarbeiteter Lebensmittel bislang eindeutig nur für Süßgetränke und verarbeitete Wurstwaren nachweisen lassen. Nicht aber für andere Lebensmittel, die in die gleiche Kategorie fallen, wie pflanzliche Fleisch-Alternativen, Gemüsekonserven oder ballaststoffreiche Vollkornprodukte.

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Hochverarbeitete Produkte haben häufig schlechten Nutri-Score
Fest steht: Die allermeisten hochverarbeiteten Lebensmittel sind gleichzeitig sehr unausgewogen: So fallen knapp 84 Prozent der Lebensmittel mit Nutri-Score E auch in die NOVA Stufe 4. Aus gesundheitlicher Sicht ist es daher absolut sinnvoll, den Konsum hochverarbeiteter Lebensmittel mit schlechter Nährwertqualität einzudämmen: Etwa durch verbindliche Maßnahmen wie einen verpflichtenden Nutri-Score, Werbeschranken zum Kinderschutz und eine Limo-Steuer.
Gleichzeitig machen neuere Studien deutlich, dass es möglicherweise nicht nur die unausgewogenen Zutaten sind, die hochverarbeitete Lebensmittel ungesund machen. Besonders die Wirkung von Zusatzstoffcocktails und Verpackungsrückständen ist bislang wenig erforscht. Auch das Konzept „hochverarbeitete Lebensmittel“ selbst benötigt eine präzisere Definition, an der derzeit unter anderem die Weltgesundheitsorganisation arbeitet.
Locker bleiben
Fazit: Natürlich ist es in der Regel empfehlenswerter, frisch zu kochen, als eine Tiefkühlpizza in den Ofen zu schieben. Auch Obst und Gemüse sollte regelmäßig auf dem Speiseplan stehen. Aus wissenschaftlicher Sicht gibt es aber keinen Anlass, grundsätzlich auf alle hochverarbeiteten Produkte zu verzichten – insbesondere nicht auf solche mit guter Nährstoffbilanz wie Tofu, pflanzliche Milchalternativen, zuckerarme Vollkorncerealien oder haltbares Gemüse in Dosen.