Newsletter 07.04.2017

Ein halber Abschied

Nach 15 Jahren verabschiede ich mich von foodwatch Deutschland. Aber nicht von foodwatch! Denn es gibt noch viel zu tun: Wir brauchen die Lebensmittel-Ampel – wir brauchen lesbare Zutatenlisten, Schutz vor riskanten Zusatzstoffen – und vieles mehr. Aber das geht nur auf europäischer Ebene. Deshalb haben wir foodwatch-international gegründet, dem ich ab sofort vorstehen werde. Damit wir noch schlagkräftiger werden!

Hallo und guten Tag,

Erinnern Sie sich noch an die Bilder? Vor mehr als 15 Jahren brannten die Kadaver von tausenden notgeschlachteten Rindern. Die BSE-Krise hatte die Europäer ereilt. Etwa 200 Menschen starben seitdem am Verzehr von verseuchtem Rindfleisch. Wo bleiben die Verbraucherrechte? Das war die Frage, die ich mir damals stellte und deshalb foodwatch gründete – im Jahr 2002.

Aber dann geschah fast ein Wunder: Im selben Jahr, unter dem Schock des Rinderwahnsinns, beschloss die EU ein neues Lebensmittelrecht, das wohl auch heute noch fortschrittlichste weltweit. Brüssel zog die einzig richtige Konsequenz: Das Lebensmittelrecht muss den Verbraucherinnen und Verbrauchern „vorsorgenden Schutz“ bieten, also Katastrophen wie BSE von vornherein verhindern. Der Grund ist einfach: Hat man ein mit Dioxin belastetes Ei gegessen, kann man es nicht zurückholen. Man kann es nicht umtauschen wie einen defekten Staubsauger.

Alles gut also? Warum gibt es dann foodwatch? Leider, liebe foodwatch-Interessierte, kommt jetzt die schlechte Nachricht: Dieses fortschrittliche Lebensmittelrecht ist in den Ausführungsgesetzen nicht konsequent umgesetzt, sondern bis zur Unkenntlichkeit verwässert worden. Die Lebensmittelkonzerne haben – zusammen mit willfährigen Politikerinnen und Politikern – aus dem vorsorgenden Recht wieder einen Reparaturbetrieb gemacht: Erst wenn der Schaden da ist, wird repariert. Und dann auf Kosten der Allgemeinheit, nicht auf Kosten der Verursacher.

Ich bin der Meinung, wir können dies einfach nicht hinnehmen und müssen diese fatale Entwicklung stoppen. Bitte unterstützen Sie uns dabei und werden als Förderin/Förderer Teil von foodwatch!

Dass unsere Gesundheit keineswegs vorsorglich geschützt wird, lässt sich leicht nachweisen: Etwa die Hälfte der zugelassenen Zusatzstoffe gilt als gesundheitlich bedenklich. Ein Leichtes wäre es, die riskanten Zusatzstoffe einfach zu verbieten. Es gäbe immer noch genug! Aber es sind Farbstoffe zugelassen, die im dringenden Verdacht stehen, das Zappelphilipp-Syndrom bei Kindern auszulösen. Massiver Antibiotikaeinsatz in der Tiermast schafft gefährliche Resistenzen in der Human-Medizin – anders gesagt: Das Antibiotikum vom Arzt kann seine Wirkung verlieren! Versteckter Zucker fördert Übergewicht, Fettleibigkeit und chronische Krankheiten wie Typ-2-Diabetes (S. 54 im Gesamtbericht Diabetes 2017). Pestizide werden, ebenso wie Mineralöle aus Lebensmittelverpackungen, verdächtigt, Krebs auszulösen! Das Alles dürfte es eigentlich gar nicht geben.

Mich macht das wütend! Sie auch? Dann unterstützen Sie uns jetzt und werden Sie Förderer/Förderin von foodwatch!

Es geht aber noch weiter! Nicht nur der Gesundheitsschutz, sondern ein weiteres Versprechen des Lebensmittelrechts, der Schutz vor Täuschung, ist eine Illusion. Mini-Portions-Angaben auf der Vorderseite von Verpackungen rechnen den Gehalt von Fett und Zucker klein, die Schriftgröße auf der Rückseite der Packungen ist so winzig, dass man eine Lupe braucht (Begründung der Lebensmittelkonzerne: die Schrift müsse so klein sein, damit genug Platz für den „Markenauftritt“, also Werbung bleibe!!). Süßigkeiten für Kinder setzt die Industrie Vitamin C zu, und schon darf sie die Dickmacher als gesunde Produkte bewerben! Und nicht zuletzt wird uns die Herkunft von wesentlichen Inhaltsstoffen vorenthalten, ebenso wie der Einsatz von gentechnisch veränderten Futtermitteln bei der Produktion von Milch, Fleisch und Eiern. Diese Liste ließe sich ohne Schwierigkeiten verlängern. Aber ich will Sie nicht langweilen, sondern dazu auffordern etwas zu ändern. Das können Sie, indem Sie Förderin/Förderer von foodwatch werden und so die Lobby der Verbraucher und Verbraucherinnen stärken.

Aber warum sind wir nicht schon viel weiter? Haben wir etwas falsch gemacht? Ein Schlüsselerlebnis, liebe Unterstützerinnen und Unterstützer von foodwatch, war die Abstimmung über die Lebensmittel-Ampel vor sieben Jahren im Europaparlament. Diese Abstimmung haben wir verloren, obwohl damals wie heute der Großteil der Bevölkerung die Ampel will (siehe dazu auch die repräsentative Umfrage der deutschen Krankenversicherung (DKV) (2012), sowie die repräsentativen emnid-Umfragen von 2008 und 2009). Aber damals eben nur in Deutschland, wo wir erfolgreich für die Ampel geworben hatten und das auch heute noch tun. Mit einigen Stimmen mehr aus anderen EU-Mitgliedsstaaten hätten wir heute die Ampel und einen wesentlichen Sieg für die Verbraucherinnen und Verbraucher errungen.

Diese Abstimmung machte klar, was gerne unter den Tisch fällt: Praktisch alle Lebensmittelgesetze werden von der EU entschieden. Wenn ein deutscher Verbraucherminister verspricht – und das kommt regelmäßig vor – er werde für eine bessere Kennzeichnung von Lebensmitteln sorgen, dann sagt er in den meisten Fällen nicht die Wahrheit. Kann er etwa die Schriftgröße auf den Verpackungen ändern? Nein, selbst dazu braucht er das Europa-Parlament!

Die Konsequenz: Wenn wir wirklich die Macht der Lebensmittelkonzerne brechen wollen, müssen wir in anderen Mitgliedsstaaten die Öffentlichkeit für unsere Ziele mobilisieren. Damit wir im Europaparlament in Zukunft wichtige Abstimmungen gewinnen. Deshalb haben wir damit begonnen, zwei weitere foodwatch Büros aufzubauen, eines in den Niederlanden und kürzlich ein weiteres in Frankreich. Das ist eine riesige Herausforderung aber politisch die wichtigste Maßnahme seit der Gründung von foodwatch. Wenn Sie uns bei diesem wichtigen Vorhaben unterstützen wollen, dann bitte ich Sie: Werden Sie Förderer/Förderin von foodwatch!

Ich habe mich entschlossen, nach 15 Jahren foodwatch in Deutschland meine ganze Kraft dem weiteren Aufbau von foodwatch in Europa zu widmen. Deshalb verabschiede ich mich heute von Ihnen. Ich übernehme den neu gegründeten Bereich „foodwatch international“ in unserer Organisation. Für foodwatch in Deutschland wird in Zukunft mein Nachfolger, Martin Rücker, verantwortlich sein. Wenn Sie uns dabei unterstützen wollen, mit der Europäisierung von foodwatch auch wirksamer für unsere Rechte in Deutschland einzutreten, dann möchte ich Sie zum Schluss ganz persönlich bitten: Werden Sie Förderin/Förderer von foodwatch! Wenn Sie ebenso wenig wie wir akzeptieren wollen, dass Nestlé, Unilever und Co. die Lebensmittelgesetze schreiben, dann unterstützen Sie uns!

Vielen Dank und herzliche Grüße,

Ihr Thilo Bode

Gründer von foodwatch