Frage des Monats 01.12.2022

Sind „klimaneutrale“ Lebensmittel gut fürs Klima?

Egal ob Tiefkühlpizza, Kuhmilch oder Wasser in der Plastikflasche: Zahlreiche Lebensmittel im Supermarkt schmücken sich mit Labels wie „CO2-neutral“, einige werden sogar als „klimapositiv“ beworben. Sollte ich zu Lebensmitteln mit Klimalabel greifen, wenn ich als Verbraucherin etwas fürs Klima tun will? Sarah Häuser von foodwatch antwortet:

Wenn es so einfach wäre. Leider sagen Labels wie „klimaneutral“ und „klimapositiv“ überhaupt nichts darüber aus, wie umweltfreundlich ein Produkt tatsächlich ist. Denn um ihre Lebensmittel als „klimaneutral“ bewerben zu dürfen, müssen Hersteller kein einziges Gramm CO2 einsparen. Für einen großen foodwatch-Report haben wir uns die Richtlinien der Siegelanbieter genauer angeschaut: Keiner der Anbieter macht den Lebensmittelherstellern konkrete Vorgaben, klimaschonender zu produzieren. Stattdessen können sich die Unternehmen mit dem Kauf von CO2-Gutschriften vermeintlicher Klimaschutzprojekte ganz einfach klimaneutral rechnen.

foodwatch/Sabrina Weniger

Fragwürdiger Ablasshandel

Bei diesen sogenannten Kompensationsprojekten setzt man darauf, dass CO2 durch klimafreundliche Maßnahmen gebunden wird - etwa, indem Wälder gepflanzt werden, die wiederum CO2 speichern. Das soll den Treibhausgasausstoß ausgleichen, der bei der Lebensmittelherstellung entsteht. Das Problem hierbei: Die bei der Produktion entstandenen Emissionen werden dadurch nicht rückgängig gemacht. Zudem ist vollkommen unklar, ob diese vermeintlichen Klimaschutzprojekte überhaupt einen wirksamen Beitrag zum Klimaschutz leisten. Im Auftrag der Europäischen Kommission hat das Öko-Institut hunderte zertifizierte Projekte analysiert. Das Ergebnis: Nur zwei Prozent der Projekte halten sehr wahrscheinlich, was sie versprechen.  

Glyphosat statt Klimaschutz

Auch wir bei foodwatch haben einzelne Kompensationsprojekte genauer unter die Lupe genommen. Darunter ein Projekt in Uruguay, in dem in industrieller Forstwirtschaft Eukalyptus-Monokulturen angebaut werden. Dabei wird Glyphosat gespritzt und es ist zudem fraglich, ob durch das Projekt tatsächlich zusätzliches CO2 gebunden wird. Rewe hatte damit Produkte seiner Eigenmarken „klimaneutral“ gerechnet, nach foodwatch-Kritik die irreführende Werbung aber gestoppt.

Mehr als eine Milliarde US-Dollar Umsatz

Statt sich mit diesem „Ablasshandel“ grün zu rechnen, sollten die Hersteller besser den eigenen Treibhausgasausstoß so gut es geht reduzieren – bei der Produktion vor Ort im eigenen Werk und entlang der gesamten Lieferkette.

Doch an diesem echten Klimaschutz von Firmen dürften die Profiteure des Handels mit CO2-Gutschriften wenig Interesse haben. Denn dahinter steht ein ganzer Geschäftszweig, der an der Klimawerbung gut verdient. Mit dem Verkauf von CO2-Gutschriften wurde 2021 mehr als eine Milliarde US-Dollar umgesetzt.  Woher sollte angesichts solcher Profitmargen das Interesse kommen, hohe Standards für Klimaprojekte durchzusetzen und die Kompensation nur als letztes Mittel anzusehen?

Greenwashing für klimaschädliche Produkte

Für Verbraucher:innen ist die Klimawerbung auch deshalb irreführend, weil damit häufig Produkten ein grüner Anstrich gegeben werden soll, die ganz und gar nicht klimafreundlich sind: tierische Lebensmittel oder Wasser in Einweg-Plastikflaschen etwa. 
 

Politische Reformen statt Klimalabels!

Wer beim Einkauf etwas fürs Klima tun will, sollte sich nicht an Klimasiegeln orientieren. Als Faustregel für eine klimafreundliche Ernährung gilt: Viel Pflanzliches, wenig Tierisches auf den Tisch. Das empfiehlt auch eine internationale Expertenkommission mit der „Planetary Health Diet“, einem Speiseplan zur gesunden und nachhaltigen Ernährung. 

Wir sollten uns jedoch nicht der Illusion hingeben, dass wir mit dem Einkaufskorb die Welt retten können. Stattdessen muss die Politik ran: Die Bundesregierung muss der Ernährungswirtschaft ausreichende Vorgaben zur CO2-Einsparung machen. Denn immerhin ist die Lebensmittel- und Agrarindustrie für rund 30 Prozent der Treibhausgasemissionen Deutschlands verantwortlich. Ein wichtiger Anteil daran ist auf die Tierhaltung zurückzuführen. Die Tierbestände in Deutschland und der gesamten EU müssen ungefähr halbiert werden. Die Abschaffung der Mehrwertsteuer auf Obst und Gemüse könnte Anreize für eine fleischarme Ernährung schaffen.