Frage des Monats 01.10.2023

Wie regional sind “regionale” Produkte wirklich?

Adobe Stock / sementsova321

Viele Menschen wollen beim Einkauf die Umwelt schonen. Die Lebensmittelindustrie weiß das und bewirbt etliche Produkte als “regional”. Aber können wir uns auf dieses Versprechen verlassen?

Viele Menschen wollen beim Einkauf die Umwelt schonen. Die Lebensmittelindustrie weiß das und bewirbt etliche Produkte als “regional”. Aber können wir uns auf dieses Versprechen verlassen?

Dario Sarmadi von foodwatch antwortet:

“Aus der Region”, “von hier” oder “aus der Heimat” – als regional beworbene Lebensmittel haben Hochkonjunktur. Logisch, denn viele Vebraucher:innen wollen mit ihrem Einkauf die Umwelt und das Klima schonen. Sie erhoffen sich kürzere Transportwege und eine nachhaltigere Produktion. Zudem wollen sie die lokale Landwirtschaft fördern.  

foodwatch/Sabrina Weniger

Aber können wir uns darauf verlassen, dass als “regional” beworbene Lebensmittel wirklich regional sind? Recherchen und Marktchecks der Verbraucherzentralen finden immer wieder Beispiele von “regionalen” Produkten, die bis zum Supermarktregal beachtliche Distanzen zurückgelegt haben. So werden manche Produkte als regional beworben, aber in einem anderen Bundesland, oft mehrere hundert Kilometer entfernt, produziert. Zudem fehlt in den meisten Fällen eine Erklärung, worauf sich die Regionsauslobung bezieht: Ursprungsregion der Zutaten, Firmensitz, Verarbeitungsort oder Rezeptur des Produktes. Einige Lebensmittel, deren Zutaten in der Kaufregion produziert sein sollen, sind für die Verarbeitung in eine andere Region gebracht und dann zurückgeführt worden. Die Folge sind weite Transportwege. 

Besonders ärgerlich: Oft sind “regionale” Produkte teurer als vergleichbare Produkte ohne entsprechende Auslobung. Dabei gibt es in vielen Fällen keine Qualitätsunterschiede. 

“Regionalität” nicht eindeutig definiert  

Das Problem: Der Begriff "Region" ist gesetzlich nicht definiert und wird unterschiedlich, teilweise sehr großzügig, ausgelegt. Zudem sind Herkunftsangaben zu Produkten entweder gar nicht vorgeschrieben oder so unkonkret, dass es Herstellern leicht gemacht wird, mit “Regionalität” zu schwindeln.  

Was bringen die derzeitigen Vorschriften zur Herkunftskennzeichnung? 

Bei frischem Obst und Gemüse müssen Verbraucher:innen über das Anbauland informiert werden. Die Angabe muss gut lesbar auf der Verpackung stehen, bei lose verkauftem Obst oder Gemüse muss ein Schild im Laden auf das Anbauland hinweisen. Ausnahmen gelten unter anderem für Bananen, Kartoffeln, Oliven oder Kokosnüsse. Bei tiefgekühltem Obst und Gemüse müssen die Hersteller das Herkunftsland nicht angeben. Ebensowenig muss der Ursprung der Hauptzutat in verarbeiteten Produkten wie Marmelade gekennzeichnet sein. 

Ovales Logo bei Milch und Fleisch kaum hilfreich 

Bei Milch- und Fleischprodukten ist die Kennzeichnung genauer geregelt. Für sie ist das ovale Identitäts- oder Genusstauglichkeitskennzeichen vorgeschrieben. Das Siegel ist allerdings nicht für Verbraucher:innen gedacht und für sie auch zunächst einmal wenig aufschlussreich. Vielmehr ist es ein Hinweis für die Kontrollbehörden, die Tierprodukte mit Hilfe der Veterinärkontrollnummer des Siegels rückverfolgen können. 

Die Kontrollnummer beginnt mit einem Kürzel für den EU-Staat (zum Beispiel "DE" für Deutschland) und endet mit dem Kürzel "EG", "EWG" o.ä. für Erzeugnisse aus der Europäischen Union. Dazwischen steht die Zulassungsnummer des Herstellerbetriebes, die aus der Angabe der Region bzw. des Bundeslandes besteht, in dem der Betrieb gemeldet ist, gefolgt von einer Ziffernreihe. Bei älteren Zulassungsnummern steht zum Teil noch eine Abkürzung für die Betriebsform (z.B. "ES" für Schlachtbetrieb, "EP" für Eiproduktbetrieb, "SFB" für Separatorenfleischbetrieb etc.). Alle Angaben beziehen sich jedoch nur auf den letzten Ort der Verarbeitung, nicht auf den Ursprung der Produkte. Weil die Informationen zudem nur schwer und für ausgesprochen gut informierte Verbraucher:innen zu finden sind, stellen sie keinen Ersatz für eine verständliche Herkunftsangabe dar. 

Regionalschwindel trotz Ei-Stempel 

Eier müssen seit Anfang 2004 EU-weit mit einem Stempel versehen werden. Er gibt nicht nur Auskunft über die Haltungsform, sondern auch über die Herkunft. So steht ein Buchstabenkürzel für das Ursprungsland (zum Beispiel "DE" für Deutschland), ein sechsstelliger Zahlencode für den Legebetrieb. Mit Hilfe dieser Ziffernfolge können Verbraucher:innen zum Beispiel online den Weg eines Eis bis zum Hühnerstall zurückverfolgen. Auch hier sind die Angaben auf der Verpackung chiffriert, die eigentlichen Informationen müssen sich Verbraucher:innen erst selbst beschaffen. Für Verwirrung sorgt häufig zudem, dass auf dem Eierkarton andere Angaben als auf dem Stempel der Eier stehen. Italienische Eier im Karton aus Deutschland – das ist völlig legal, wenn die Eier von einem italienischen Hof stammen, aber erst in Deutschland in den Karton gepackt wurden. Maßgeblich für die Herkunft des Produkts ist also immer der Stempel auf dem Ei, egal, was auf dem Karton steht. 

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Regionale Spezialitäten 

Für Produkte aller Art können zudem die Herkunftskennzeichen der Europäischen Union beantragt werden. Diese sollen regionale Spezialitäten schützen, sind allerdings wenig bekannt. Für eine "geschützte Ursprungsbezeichnung" (g.U.) gibt es ein rotes Siegel. Es besagt, dass die Produkte in einer definierten Region erzeugt, verarbeitet und hergestellt werden müssen. Als g.U. anerkannt sind in Deutschland eine Reihe von Mineralquellen und etwa der "Allgäuer Bergkäse" oder die "Lüneburger Heidschnucke". Bei diesen Produkten ist die Herkunft eindeutig: Sie stammen mit all ihren Bestandteilen aus der genannten Region. 

BMEL

Bei "geschützten geografischen Angaben" (g.g.A.), für die ein blaues Siegel steht, gelten dagegen niedrigere Anforderungen. Hier muss nur ein Arbeitsschritt in der genannten Region erfolgen. Die Konsequenz ist für Verbraucher:innen häufig irreführend: "Spreewaldgurken", die nicht aus dem Spreewald stammen, "Schwarzwälder Schinken" von Schweinen, die den Schwarzwald nie gesehen haben – und das, obwohl beide Bezeichnungen als g.g.A. anerkannt sind. Der Schinken etwa muss zwar im Schwarzwald geräuchert werden. Die Schweine aber können aus dänischen Großmästereien kommen, ihr Fleisch wird nur um des Namens willen zur Räucherung in den Schwarzwald transportiert, um am Ende in eine mit traditionellen Schwarzwald-Motiven bedruckte Plastikverpackung gesteckt zu werden. Das ist nicht nur verwirrend, sondern auch unsinnig: Unnötige Transportwege entstehen, und eine eigentlich nur in begrenzter Menge herstellbare regionale Spezialität kann plötzlich in großer Stückzahl für den Massenmarkt produziert werden. 

Das Regionalfenster 

Das vor etwa zehn Jahren ins Leben gerufene Regionalfenster sollte Klarheit bei der Kennzeichnung von regionalen Lebensmitteln bringen. Auf dem Label muss die Herkunft der Rohstoffe eindeutig und nachprüfbar angegeben werden, beispielsweise unter Angabe des Landkreises, des Bundeslandes oder des Radius in Kilometern. Bei Produkten, die aus einer einzigen Zutat bestehen, müssen die Rohstoffe vollständig aus der angegebenen Region stammen. Bei zusammengesetzten Produkten gilt das für die Hauptzutat. Macht die Hauptzutat weniger als die Hälfte des Gesamtproduktgewichtes aus, müssen auch die weiteren Zutaten zu 100 Prozent aus der genannten Region stammen, bis mindestens 51 Prozent des Gesamtgewichtes erreicht sind. Ferner müssen der Verarbeitungsort und das beauftragte Kontrollunternehmen im Regionalfenster genannt werden.  

Die Verwendung des Regionalfensters ist für die Lebensmittelhersteller jedoch freiwillig. Die Folge: Das Label ist nach wie vor Nische. Im Dezember 2022 lagen laut dem dahinterstehendem Unternehmen 5.510 bundesweite Produktregistrierungen von 870 Herstellern vor. Das ist nur ein Bruchteil der mehr als 170.000 Produkte auf dem Lebensmittelmarkt (BVE). An der flächendeckenden Täuschung mit falschen Regionalversprechen wird das „Regionalfenster“ also nichts ändern.   

Verpflichtende Herkunftskennzeichnung nötig! 

Nur eine verbindliche Herkunftskennzeichnung kann den Regionalschwindel beenden. Hersteller müssen verpflichtet werden, die Herkunftsländer der Hauptzutaten ihrer Produkte anzugeben. Mit Herkunftsangaben darf nur dann geworben werden, wenn das Versprechen durch die tatsächliche Herkunft der Hauptzutaten gedeckt ist und die Ursprungsregion (zum Beispiel für Deutschland mindestens bundeslandgenau) für alle Zutaten angegeben wird. Bei Produkten mit Zutaten von außerhalb der EU genügt das Land als Herkunftsangabe.