Frage des Monats 09.03.2018

Ist Palmöl krebserregend?

Johannes Heeg von foodwatch antwortet:

Palmöl ist das meistgenutzte Pflanzenöl der Welt, es wird als Biodiesel verwendet, aber auch in Lebensmitteln, Seife oder Kosmetika verarbeitet. Die Debatte um die Auswirkungen des Palmöl-Anbaus wird hitzig geführt: So weisen Umweltorganisationen darauf hin, dass für neue Palmölplantagen immer wieder Menschen von ihrem Land vertrieben werden, Regenwald zerstört und der Klimawandel beschleunigt wird. Und der Aufruf der damaligen französischen Umweltministerin Ségolène Royale, Nutella wegen des hohen Anteils von Palmöl zu boykottieren, ging auch hierzulande durch die Medien.

Daneben ist Palmöl in den letzten Jahren aber auch aus einem anderen Grund in die Schlagzeilen geraten: Immer wieder kursieren Meldungen, dass Palmöl krebserregend sei. In Italien wird besonders intensiv um diese Frage gestritten: Während viele Lebensmittelhersteller, darunter zum Beispiel Barilla, inzwischen vollständig auf Palmöl verzichten, wirbt Ferrero offensiv dafür. Doch was steckt hinter dem Vorwurf?

Bei der Raffination von Palmöl können Schadstoffe entstehen

Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) veröffentlichte 2016 eine Stellungnahme, in der sie verschiedene sogenannte Prozesskontaminanten bewertet, die in Palmöl, aber auch in anderen Pflanzenölen vorkommen. Prozesskontaminanten sind Stoffe, die erst bei der Verarbeitung eines Lebensmittels entstehen. Bei Pflanzenölen ist ein solcher kritischer Verarbeitungsschritt die sogenannte Raffination: Um unangenehme Geruchs- und Geschmacksstoffe zu entfernen, werden Speiseöle bei Temperaturen von über 200 °C mit Wasserdampf behandelt. Ohne diesen Schritt wäre ein heißgepresstes Speiseöl oder -fett ungenießbar. Doch bei der Raffination können sich Stoffgruppen bilden, die als Fettsäureester bezeichnet werden – sie tragen die komplizierten Namen „Glycidyl-Fettsäureester“ (GE), „3-Monochlorpropandiol-Fettsäureester“ (3-MCPD-Fettsäureester) und „2-Monochlorpropandiol-Fettsäureester“ (2-MCPD-Fettsäureester). Bei der Verdauung werden daraus die Substanzen Glycidol, 3-MCPD und 2-MCPD freigesetzt. Und genau das ist das Problem – denn diese Substanzen will man lieber nicht im Körper haben. 

Vor allem Babys sind gefährdet

Die EFSA kam in ihrer Studie 2016 zu dem Schluss, dass Glycidol das Erbgut schädigen und Krebs verursachen kann. 3-MCPD wird von der Internationalen Agentur für Krebsforschung (IARC), die bei der WHO angesiedelt ist, als „möglicherweise krebserregend“ für den Menschen eingestuft. Die EFSA hat bei Versuchen mit Ratten außerdem eine schädliche Wirkung auf die Nierenfunktion und die Fruchtbarkeit festgestellt. Zu 2-MCPD liegen bislang noch nicht genug Daten vor, um zu beurteilen, wie es sich auf den Organismus auswirkt. 

Palmöl war in der EFSA-Studie stärker mit den problematischen Stoffen belastet als andere Fette und Öle. Besonders problematisch ist das, wenn belastetes Palmöl zu Säuglingsnahrung verarbeitet wird. So warnte der EFSA-Wissenschaftler Marco Binaglia im vergangenen Jahr: „Nach unserer Einschätzung sind Babys, die ausschließlich Säuglingsanfangsnahrung bekommen, zehn Mal stärker belastet als man für unbedenklich halten kann.“

Palmöl kann krebserregend sein – andere Pflanzenöle aber auch 

Die Antwort auf die Frage, ob Palmöl krebserregend ist, lautet „jein“. Es kommt darauf an, ob bei der Verarbeitung krebserregende Stoffe entstehen oder nicht. Die EFSA hat die kritischen Substanzen Glycidyl- und 3-MCPD-Fettsäureester in Palmöl zwar in besonders hohen Mengen nachgewiesen. Die Stoffe waren aber auch in anderen Speiseölen nachweisbar, genauso wie in daraus hergestellten Lebensmitteln, zum Beispiel Margarine, Backwaren, frittierten Produkten und auch Säuglingsnahrung. Die Stiftung Warentest untersucht regelmäßig Lebensmittel auf Schadstoffe und kommt zu der gleichen Einschätzung: Ein schlecht raffiniertes Sonnenblumenöl kann stärker mit Fettschadstoffen belastet sein als ein gut raffiniertes Palmöl. Das macht deutlich: Für eine krebserregende Wirkung ist nicht die Sorte des Pflanzenöls entscheidend, sondern die Verarbeitung. 

Lebensmittelhersteller müssen Schadstoffbelastung senken

Lebensmittelhersteller haben eine Vielzahl von Möglichkeiten, wie sie die Belastung ihrer Lebensmitteln mit Glycidyl- und 3-MCPD-Fettsäureestern senken können – vom Verzicht auf bestimmte Düngemittel über niedrigere Temperaturen bei der Raffination bis hin zur Verringerung gesalzener Zutaten beim Braten. Die meisten dieser Maßnahmen verursachen höhere Kosten. Aus Sicht des gesundheitlichen Verbraucherschutzes ist klar: Die Lebensmittelhersteller sind in der Pflicht, die Belastung von Lebensmitteln mit Glycidyl- und 3-MCPD-Fettsäureestern auf das geringstmögliche Maß zu reduzieren. Denn für krebserregende und erbgutschädigende Stoffe wie Glycidol gibt es keine sichere Aufnahmemenge, da bereits kleinste Mengen Krebs auslösen können. 

Verbraucherinnen und Verbraucher müssen auf Grenzwerte vertrauen

Die Verbraucherinnen und Verbraucher können das Problem nicht mit ihrer Kaufentscheidung lösen. Erstens kommen die kritischen Stoffe nicht nur in Palmöl vor, sondern ebenso in anderen Pflanzenölen – selbst ein kompletter Verzicht auf palmölhaltige Produkte schützt also nicht. Zweitens können wir im Supermarkt nicht erkennen, nicht schmecken, und nicht riechen, ob Glycidyl- und 3-MCPD-Fettsäureester in den Produkten enthalten sind, die wir kaufen. Deshalb ist es richtig, dass die EU im Februar endlich Grenzwerte für Glycidyl-Fettsäureester in Lebensmittel erlassen hat. 

Neue Grenzwerte für Glycidyl-Fettsäureester, nicht aber für 3-MCPD

Für die besonders kritischen Glycidyl-Fettsäureester galt bislang lediglich der Grundsatz, dass sie in Lebensmitteln so weit wie technisch möglich reduziert werden sollen. Gesetzliche Höchstwerte fehlten. Das ändert sich ab dem 19. September 2018: Dann gilt eine neue EU-Verordnung, in der Grenzwerte für Glycidyl-Fettsäureester in Ölen und Fetten festgesetzt sind. Zulässig sind dann noch 1.000 Mikrogramm pro Kilogramm Öl bzw. Fett. Wenn aus den Ölen und Fetten Babynahrung hergestellt werden soll, dürfen sie nur 500 Mikrogramm Glycidyl-Fettsäureester enthalten. Für Säuglingsnahrung in Pulverform und als Flüssigkeit wurden weitere, strengere Grenzwerte beschlossen, die 2019 noch einmal gesenkt werden sollen. Anders sieht es bei 3-MCPD aus: Für diesen Stoff fehlen weiterhin allgemeine Grenzwerte für Öle und Fette.

Foto Früchte Ölpalme: © Fotolia/underverse